Politiker, Unternehmensführer, Ökonomen … alle sprechen von der Plattformökonomie. Die Vorreiter dieser Entwicklung, die US-amerikanischen Unternehmen Amazon, Google und Microsoft, haben als erste Aktiengesellschaften überhaupt, die Bewertungsschallmauer von 1 Billion US$ durchbrochen. Zentrales Element einer jeden Plattform sind Daten: „Mithilfe von Daten kann ein digitales Abbild (Digital Twin) von Personen sowie ihres Umfelds geschaffen werden. Allerdings besteht dabei die Gefahr, die Souveränität über die eigenen Daten zu verlieren“ (BMBF, Link). Wie kann eine Win-Win Situation aussehen für Datenwertschöpfung mit Datensouveränität?
Der Digitale Zwilling mit Datensouveränität
„Das Ziel des Projektes DaWID ist die Erforschung und Erprobung einer datenzentrierten Wertschöpfungsplattform, auf der Nutzer ihre Daten transparent und souverän verwalten können“, erklärt Sven Meister, Konsortialführer und Abteilungsleiter für Health des Fraunhofer Instituts für Software- und Systemtechnik (ISST 2019). DaWID steht für „Datenzentrierte Wertschöpfungsplattform für Interaktive, assistierende Dienstleistungssysteme“ und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms für Digitale Plattformen gefördert. Zusammen mit Spitzenkräften aus der Wissenschaft und führenden Data Analytics Spezialisten und Softwareentwicklern wird die Entwicklung theoretische Lösungsansätze bis hin zu einer prototypischen Produktisierung erster funktionstüchtiger Demonstratoren in real-life Situationen vorangetrieben.
Abbildung 1: Prof. Dr. Boris Otto mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kabinettsmitgliedern während des Digitalgipfels 2019 (Photo bereitgestellt von IDSA, Link)
Aus der Theorie in die Praxis mit Top Partnern
„Die digitale Souveränität ist die Fähigkeit einer natürlichen oder juristischen Person zur ausschließlichen Selbstbestimmung über das Wirtschaftsgut Daten“, erklärt Prof. Dr. Boris Otto, Leiter des ISST (Otto 2016). Otto ist einer der führenden Kapazitäten auf diesem Gebiet und der Fraunhofer International Dataspaces (IDS) Initiative (Link). Mit „DaWID“ kann seine Forschung jetzt auch im B2C Bereich und „Digital Life Journeys“ zur Anwendung kommen (siehe IDSA Blog, Link). Viele der wissenschaftlichen Hausaufgaben sind gemacht. Jetzt geht es um die Umsetzung der Theorie in der Praxis. Entscheidend ist hier die Zusammenarbeit mit innovativen Teams aus Unternehmen, die das Plattformgeschäft und Data Analytics kennen, wie z.B. das Team des Telekom Data Intelligence Hubs. „Der Data Intelligence Hub ist eine Produktfamilie der Telekom, die hilft, neue datenbasierte Geschäftsmöglichkeiten mit IoT, dem Internet der Dinge, schnell und günstig zu realisieren“, erklärt Prof. Dr. Chris Schlueter Langdon, Projektverantwortlicher bei der Telekom. Er kennt Produktisierung von Analytics aus der Unternehmenspraxis und Wissenschaft (siehe „Bühne frei für Telekom, IBM und IDSA“, Link), hat selbst zu Künstlicher Intelligenz promoviert und leitet das Drucker Customer Lab an der Peter Drucker School of Management in Kalifornien (Link). Weitere Partner bei DaWID sind das KIT Karlsruher Institut für Technologie (Link), und idigiT – Institute for Digital Transformation in Healthcare GmbH, Witten (Link). Das idigiT ist ein An-Institut der Universität Witten/Herdecke und ist mit seinem interdisziplinären Fachwissen ein geschätzter Experte besonders in den Feldern „Digital Health“ und „Digital Ethics“.
Abbildung 2: Startteam v. l. n. r., Jan Bartsch, Prof. Dr. Christoph Schlueter Langdon, Marcel Rebbert, Dr. Sarah J. Becker, Dr. Sven Meister, Florian Lauf, Dr. Marija Radic und Dr. Tobias Dehling
In drei Schritten zum Erfolg
Für idigiTs Gründer Dr. André T. Nemat steht fest: „Die Ethik des Digitalen verlangt nach einem Paradigmenwechsel, der die Datenhoheit denjenigen zurückgibt, denen sie zusteht“ (Link). Heute ist es oft nicht möglich, als Privatperson eigene Daten, die über die Apps eines Anbieters eingesammelt werden, einem weiteren Anbieter oder Dritten zur weiteren Veredlung zur Verfügung zu stellen und dann von dieser Wertschöpfung zu partizipieren. Die Blaupausen des IDS könnten hier einen Lösungsansatz bieten. Der International Dataspace (IDS) ist eine Initiative der Fraunhofer Gesellschaft, mit der ein Datenraum für sicheren, industrieübergreifenden Datenaustausch unter Gewährleistung der Datensouveränität geschaffen werden soll.
Schritt 1: Anwendungsszenarien erstellen
In einem ersten Schritt werden Anforderungen durch greifbare Use Cases konkretisiert. Beispiel: Maria, 55, mit langwierigem Migräne-leiden. Keine Behandlungsmethode bisher hat Wirkung gezeigt, doch es gibt neue Hoffnung: Ein Pharmahersteller arbeitet gemeinsam mit einem Smart Home Anbieter an einem neuen Medikament inkl. einer digitalen Dienstleistung: App und Smart Home Sensorik sollen helfen mögliche Stressoren wie z.B. Licht oder Temperatur zu identifizieren und zu regulieren. Dazu werden momentan Probanden gesucht. Maria ist interessiert, aber skeptisch. Gerne würde sie wissen, wofür ihre Daten genutzt werden und selbstständig das Recht zur Datennutzung einfach wieder zurückziehen können.
Schritt 2: Aufbau eines Demonstrators
In einem zweiten Schritt muss eine Versuchsumgebung bebaut werden, die eine Umsetzung des Anwendungsszenarios ermöglichen könnte. Der Demonstrator muss als Schnittstelle zwischen den Plattformen der verschiedenen Dienstleister, wie den Smart Home Anbieter und dem Pharmakonzern, fungieren. Darüber hinaus muss dem Dateneigentümer, wie Maria, die Kontrolle über die eigenen Daten ermöglicht bleiben. Da auf den IDS aufgesetzt werden soll, bietet sich die Infrastruktur des Telekom Data Intelligence Hub an. Der DIH ist eine Plattformlösung, die aus verschiedenen Komponenten, wie dem Workspace, Data Exchange und dem IDS_ready Connector besteht. Somit ist der Data Intelligence Hub nicht nur Pionier bei der Implementierung der Architektur-Blaupausen des IDS im B2B-Bereich (siehe „T-Systems als Pionier“, Link), sondern bietet das Fundament für die Erweiterung in B2C-Bereiche, wie im Anwendungsszenario benötigt.
Schritt 3: Verprobung der Szenarien
Nach Aufbau des Demonstrators können die Anwendungsszenarien verprobt werden, um zu kontrollieren, ob sie den wesentlichen formulierten Anforderungen gerecht werden. Besonderer Wert wird dabei auf die Rücksichtnahme der ethischen Implikationen und Berücksichtigung der Folgen für den Nutzer gelegt. Bisher gibt es im Umgang mit Daten nur rechtliche Grundlagen (EU-Datenschutz-Grundverordnung). DaWID strebt an, die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen, damit in Zukunft bei der Wertschätzung der Daten alle Beteiligte – Plattformen, datenveredelnde Unternehmen und Nutzer – berücksichtigt werden können und Datensouveränität gewährleistet wird.
Vom Digitalen Zwilling der Dinge zum Mensch
Erste Framework-Konzepte eines digitalen Zwillings existieren bereits in verschiedenen Bereichen. Zum Beispiel digitale Zwillinge von Teilen in der Automobilindustrie, um das Produktlebenszyklus-Management zu verbessern (siehe unser Beispiel „Digitaler Zwilling: Simulieren und speichern“, Link). Das Konzept des Digitalen Zwillings wird weiter von Dingen zum Menschen ausgeweitet:
- „Avatars: Are we ready for our digital twins?” ist eine BBC Dokumentation über Potenzial und Risiko des menschlichen digitalen Zwillings (Link).
- „Digital Twin“ über die ethischen Probleme bei der Nutzung des menschlichen digitalen Zwillings in Telekom‘s Best Practice Magazine (Link).
- „A Crash Test Dummy for Medicine” ein visionärer Einblick über die Nutzung des digitalen Zwillings zur Herstellung von „personalisierter Medizin“ in Telekom’s Best Practice Magazine (Link).
- „Technology Personified” in American Marketing Association Marketing News am Beispiel der Telematik in der Automobilindustrie (siehe Drucker Customer Lab, Link).
Gefördert von:
Quellen
Otto, B. 2016. Keynote zur Digitalisierung als Geschäftstreiber der vernetzten Industrie. Keynote of the Digitale Transformation in netzgestützten Industriesektoren der Bundesagentur. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Link
Meister, S., Otto, B. 2019. Digital Life Journey. Grundlagen eines Frameworks für ein selbstbestimmtes Leben des Bürgers in einer sich digitalisierenden Welt. Hg. v. Boris Otto und Jakob Rehof. Fraunhofer-Institut für Software-und Systemtechnik ISST. Dortmund (ISST-Bericht). DOI: 10.24406/ISST-N-5590